Ötztaler Radmarathon 2016

Nach Bimbach 400, Dreiländergiro und zahlreichen weiteren Marathons, RTFs und Vereinsrunden stand nun also das absolute Saisonhighlight an. Von schnellmacher.de mit reichlich Kohlenhydraten versorgt, machten wir uns freitags auf den Weg in das rund 800 Kilometer entfernte Sölden. Dort angekommen bezogen wir zunächst unser Quartier, besorgten unsere Startunterlagen und stöberten im Expo-Bereich.

Samstags folgte dann die obligatorische Einrollrunde mit einigen Bekannten nach Vent und abends die Fahrerbesprechung. Dort wurde für den späteren Nachmittag des Renntags Regen bzw. Gewitter vorhergesagt, also: Nicht Bummeln! Abends stand ein letzter Check der Räder an, wir verpassten unseren Vereinstrikots die Startnummern, befüllten die Taschen mit Getränkepulver, Gels, Salztabletten etc. und dann ab ins Bett.

Unsere Nacht endet um 04:30 Uhr. Kurz vor 5 Uhr sitzen wir im Frühstücksraum unserer Pension und versuchen weder zu wenig noch zu viel zu essen, weitere 60 Minuten später stehen wir bereits zwischen rd. 4.200 anderen Radsportlern auf der Hauptverkehrsstraße in Sölden. Der Sonnenaufgang verspricht perfekte aüßere Bedingungen, ein Foto mit den Mitstreitern, die Helikopter steigen in den morgendlichen Himmel auf, Startschuss!

Der Ötztaler beginnt mit der Abfahrt nach Oetz und nach einer gewissen Akklimatisierung und einigen verlorenen Plätzen nehmen auch wir Fahrt auf und orientieren uns weiter links im Fahrerfeld. Der Ötztaler hat die Besonderheit, dass die Strecke nahezu vollständig gesperrt ist und so kann man sich voll auf die Renngeschehen konzentrieren ohne etwaigen Pkw-Verkehr im Blick haben zu müssen. Klasse, insbesondere bei den Abfahrten.

In Oetz angekommen beginnt der Aufstieg aufs gut 2.000 Meter hoch gelegene Kühtai. Die Straße ist dort besonders zu Beginn des Anstiegs sehr eng und führt zu zähfließendem Verkehr im dichtgedrängten Peloton. Einen eigenen Rhythmus findet man dort auf den ersten Kilometern kaum, später dann rollen wir gleichmäßig Richtung Gipfel, lediglich eine Herde Kühe verzögert unsere Fahrt. Zwischenzeitlich haben wir uns kurz verloren und erreichen einzeln die Labe Kühtai. Ohne Stop geht es in die schnelle Abfahrt vom Kühtai und der Edge bekommt je nach Mut des Fahrers die seltene Gelegenheit, dreistellige Geschwindigkeitsangaben aufs Display zu bringen – man sollte allerdings die in die Straße eingelassenen Weidegitter und ggfs. den Weg kreuzendes Weidevieh im Auge behalten.

Nach einem kurzen Flachstück bis Innsbruck beginnt der moderate Anstieg um Brenner, wohl dem, der dort eine zügige Gruppe findet und mit geringem Kraftaufwand raufrollen kann. An der Brennerlabe pausierten wir beide das erste Mal und trafen uns dort wieder. Gemeinsam gingen wir in die folgende Abfahrt und die gleichmäßige Anfahrt zum Jaufenpass. Der Pass zeichnet sich durch eine gleichmäßige Steigung aus und bietet insbesondere in der Mittagshitze recht viel Schatten, dafür ist die Abfahrt mit häufig wechselndem Straßenbelag, nicht ungefährlichen Längsrillen, schwer einsehbaren Kurvenverläufen und vielen Serpentinen kurzweilig und anspruchsvoll.

In St. Leonhard kann man dann die Hände ausschütteln, bevor die Herausforderung des Tages wartet: das Timmelsjoch. Mit bereits 180 Kilometern und 3.000 Höhenmetern in den Beinen begehen wir mit wenigen Minuten Abstand aufeinander die rund 30 Kilometer lange letzte Prüfung bei 33 Grad im Schatten.

Im Fahrerfeld wird kaum noch gesprochen, bei oftmals zweistelligen Steigungsprozenten ist jeder Fahrer mit sich selbst beschäftigt. Der Schweiß läuft, kühle Duschen aus Gartenschläuchen oder der inzwischen nur noch mit Wasser gefüllten zweiten Trinkflasche versprechen eine willkommene Abkühlung. Der Blick wandert über die beeindruckende Gebirgslandschaft um den Gedanken daran zu verdrängen, dass man die nächsten 2 Stunden und mehr damit verbringen wird, sich der Passhöhe entgegenzukämpfen.

Vor der letzten Verpflegung in Schönau zeigt der Berg Erbarmen, die Strecke wird kurzzeitg flacher und gibt den Fahrern Gelegenheit zum Durchatmen. Von der Labe aus erhebt sich die Ostwand des Timmelsjoch und der Blick wandert über die Serpentinen, mit deren Hilfe wir die noch verbleibenden ca. 1.000 hm hinter uns lassen werden. Leichter Regen setzt ein.

Wieder mit zweistelligen Steigungsprozenten und einer Muskulatur an der Grenze zum Krampf bedeutet dieses Teilstück für jeden Teilnehmer die finale Qual auf dem Weg nach Sölden. In den letzten endlos erscheinenden Kehren hängen zerrissen die nicht ausgegebenen Finishertrikots der vergangenen Jahre als Sinnbild der hier geplatten Träume und der Gedanke „Weiter, weiter!“ wechselt sich im Sekundentakt mit dem Wunsch ab, sich wenigstens kurz am Straßenrand niederzulassen. Die Luft ist spürbar dünn, jeder Teil des Körpers schmerzt, die Tunneleinfahrt und schlagartig wird die Straße nahezu eben, höhere Trittfrequenzen bei weniger Widerstand mindern die Gefahr eines Krampfes und die Gewissheit, das Schlimmste hinter sich zu haben, zaubert ein Lächeln ins Gesicht.

Auf den letzten beiden Kilometern vor der Passhöhe steigt die Straße nur noch moderat an, geschafft! Windweste an und endlich abwärts. Die Gegensteigung zur Mautstation lässt die Muskulatur nochmals aufflammen und dann konzentrieren wir uns auf die letzten abschüssigen Kilometer des Ötzi bevor wir das Ziel in Sölden mit wenigen Minuten Abstand nach rund 10 Stunden und kurz vor den am Vortag angekündigten Schauern und Gewittern wieder erreichen.

Frei nach dem wohl unvergesslichen Banner auf der Timmelsjoch-Passhöhe heisst es nun für uns: „Da hast du deinen Traum!“